Gründe für eine Alt- bzw. Härtefallregelung

im Zusammenhang mit den Erfahrungen

des Zuwanderungsgesetzes

 

I.

Alt- bzw. Härtefallregelungen begleiten die Ausländer- und Asylpolitik in Deutschland seit langem. Sie beruhen auf der Erkenntnis, dass eine Rückführung von Familien oder Alleinstehenden zu besonderen Härten führen kann, wenn die Betreffenden sich schon lange in Deutschland aufhalten und kulturell, wirtschaftlich und sozial integriert sind.

Rechtgrundlage für Altfallregelungen war bis Ende 2004 § 32 AuslG und ist nunmehr § 23 AufenthG. Nach der Regelung im Aufenthaltsgesetz kann die oberste Landesbehörde u. a. aus humanitären Gründen anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Anordnung bedarf des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern.

Sie kann nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AufenthG – und das ist neu! – unter der Maßgabe erfolgen, dass sich ein Dritter dazu verpflichtet, die Kosten für den Lebensunterhalt der Betreffenden zu tragen (Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG).

Bei allen Altfallregelungen gibt es einen Stichtag, von dem an die Betreffenden sich ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalten müssen. Bei der Zeitdauer wird in der Regel differenziert zwischen Alleinstehenden und Ausländern mit Familienangehörigen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft die Sicherung des Lebensunterhalts.

Als Ausschlusstatbestand spielt in allen Regelungen eine etwaige Straffälligkeit eine wichtige Rolle.

 

II.

Durch Alt- bzw. Härtefallregelung können Kettenduldungen durch eine Aufenthaltsgenehmigung ersetzt werden. Es bedürfte dann keiner Altfallregelung, wenn dieser Zweck bereits vom Aufenthaltsgesetz erfüllt würde. Dies war zumindest das gesetzgeberische Anliegen, das durch § 25 Abs. AufenthG verwirklicht werden sollte.

Der Effekt, Kettenduldungen abzuschaffen, ist freilich durch die Soll-Bestimmung des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nur in geringfügigem Maß eingetreten. Gründe hierfür liegen zum einen an den hohen Anforderungen, die an die Unmöglichkeit einer Ausreise aus "rechtlichen oder tatsächlichen Gründen" gestellt werden. Dabei ist u. a. von Bedeutung, dass es nicht auf die Unmöglichkeit einer Abschiebung ankommt, sondern auf die einer Ausreise.

 

III.

Die Tätigkeit der Härtefallkommission nach § 23 a AufenthG macht eine Alt- bzw. Härtefallregelung nicht überflüssig. Die Härtefallkommission prüft einzelne Fälle. Ihre Tätigkeit ist gemäß § 23 a Abs. 1 Satz 4 ausschließlich im öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte des Ausländers. Eine allgemeine Regelung, deren Anwendung unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes überprüft werden kann, wird hierdurch nicht entbehrlich.

 

IV.

Für die schon vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes von den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden geforderte Alt- bzw. Härtefallregelung sind folgende Fallkonstellationen vorstellbar:

a) Es gibt Familien, die seit Jahren in Deutschland sowohl kulturell, wirtschaftlich als auch sozial integriert sind, bei denen jedoch nicht ohne weiteres die Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise vorliegt. Sie erhalten deshalb keine Aufenthalterlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Eine Hilfe könnte eventuell Art. 8 EMRK sein, wonach jedermann einen Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat. Eine vollzogene Integration, durch die der Ausländer zum "faktischen Inländer" geworden ist, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dazu führen, dass eine Abschiebung unverhältnismäßig i. S. d. Art. 8 EMRK wäre. Es liegt dann ein rechtliches Abschiebungshindernis vor. Einige Untergerichte haben in dieser Richtung entschieden (VG Stuttgart, VG Darmstadt, VG Köln).

Es steht zu befürchten, dass diese vorläufigen Entscheidungen von "Untergerichten" durch "Obergerichte" wieder aufgehoben werden.

Jetzt deutet sich eine eher restriktive Handhabung des Art. 8 EMRK an. Dabei spielt zum Beispiel der Gedanke eine Rolle, dass Integrationsleistungen nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn sie in einer Zeit erbracht wurden, in der für den Ausländer die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise bestand.

b) In Deutschland leben Ausländer – z. B. Minderheiten aus dem Kosovo – die entweder kraft Erlass oder infolge der Haltung der UNMIK wegen der Zustände in ihrem Heimatland nicht abgeschoben werden können. Auch dieser Personengruppe wird eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG versagt, weil sie nach Auffassung der Gerichte freiwillig ausreisen könnte.

Der Gedanke, dass in solchen Fällen das Verlangen einer freiwilligen Ausreise unverhältnismäßig sei, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang verworfen.

c) Eine Alt- bzw. Härtefallregelung müsste – anders als die vorangegangenen Regelungen – die Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen berücksichtigen, die sich seit langem in Deutschland befinden und hier integriert sind, auch wenn ihre Eltern die Integrationserfordernisse (wirtschaftlich oder sozial) nicht erfüllen.

Es gibt in einer Vielzahl von Familien Jugendliche, die Anfang der Neunziger Jahre mit ihren Eltern nach Deutschland eingereist sind. Sie sind damit "faktische Inländer" geworden und könnten damit ein rechtliches Ausreisehindernis aufgrund von Art. 8 EMRK geltend machen. Es ist freilich zweifelhaft, ob sich diese Rechtsprechung durchsetzen wird.

Bei jungen Erwachsenen kann sich ergeben, dass Sie, sobald sie 18 oder 19 Jahre alt geworden sind, von Abschiebung bedroht werden. Nach Auffassung der Ausländerbehörde bedürfen sie dann nicht mehr der Hilfe des Familienverbandes. Auch hier könnte Art. 8 EMRK unter dem Aspekt "Schutz des Privatlebens" gegebenenfalls zusammen mit Art. 6 GG unter dem Aspekt "Schutz des Familienlebens", ein objektives Abschiebungshindernis begründen. Die Rechtsprechung ist hierzu gegenwärtig sehr zurückhaltend.

d) Bei einer Reihe von Ausländern wird durch fachärztliche Gutachten eine Reiseunfähigkeit wegen Gesundheitsschäden festgestellt (z. B. PTBS). In der Regel wird ein bestimmter Zeitraum genannt, der dann durch weitere Bescheinigungen verlängert wird. Ab einer bestimmten Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet sollten diese Fälle – bei denen die Ausländerämter meist keine Aufenthaltserlaubnis erteilen – in einer Altfallregelung mit aufgenommen werden

e) Das Erfordernis einer mehrjährigen Erwerbstätigkeit schafft folgende Problematik:

Derzeit gehen die Ausländerbehörden vermehrt dazu über, die weitere Ausübung einer – oft seit Jahren bestehenden – Beschäftigung nicht mehr zu erlauben. Sie beziehen sich dazu auf § 11 der Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV), wonach geduldeten Ausländern die Ausübung einer Beschäftigung u. A. dann nicht erlaubt werden darf, wenn bei ihnen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.

Zu den "von ihnen zu vertretenden Gründen" gehören z. B. die Fälle, dass Ausländer aus einer Reihe von Staaten (u. a. Iran) von ihrer diplomatischen Vertretung ein Passersatzpapier nur erhalten, wenn sie bei der Beantragung des Papiers ihre Bereitschaft erklären, freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren zu wollen. Eine solche Erklärung wird in der Regel verweigert. Nach der Rechtsprechung berechtigt dies zur Versagung der Arbeitserlaubnis nach § 11 BeschVerfV.

Die Konsequenz ist dann, dass diese Ausländer Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen und demgemäß das Erfordernis der Sicherung ihres Lebensunterhalts im Rahmen des § 25 Abs. 5 (i. V. m. §5) AufenthG und auch in einer Altfallregelung nicht erfüllen, obwohl sie sich unter Umständen schon seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhalten und lange Zeit erwerbstätig waren.

f) Ein weiteres Problem in bezug auf die Erwerbstätigkeit besteht in der sogenannten Vorrangprüfung. Bei geduldeten Ausländern ist die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit für die Ausübung einer Beschäftigung erforderlich, § 10 BeschVerfV. Diese prüft, ob deutsche oder EU-Arbeitnehmer für die Stelle zur Verfügung stehen.

Dies ist meist dann der Fall, wenn es sich um Beschäftigungen handelt, für die keine qualifizierte Berufsausbildung erforderlich ist.

Es gibt viele Fälle, in den die Ausländer eine große Anzahl von Bewerbungen nachweisen können, aber an der Vorrangprüfung gescheitert sind.

 

Zusammenfassung

1. Eine neue Alt- bzw. Härtefallregelung ist unverändert wünschenswert.

2. Es empfiehlt sich, vor allem die Belange von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zu "faktischen Inländern" geworden sind, speziell zu berücksichtigen.

3. Bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts sollte – wie bei der Altfallregelung 1999 – wesentlich auf das Vorliegen konkreter Angebote für Beschäftigungsverhältnisse abgestellt werden, deren Zustandekommen nur an kurzfristigen Duldungszeiträumen oder an der von der untersagten Arbeitsaufnahme gescheitert sind.

Es könnte in solchen Fällen eine zunächst auf sechs Monate befristete Aufenthaltserlaubnis ("Schnupperbefugnis") erteilt werden, um die Voraussetzungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen zu schaffen, durch die der Lebensunterhalt sichergestellt wird.

Auch von der Möglichkeit einer Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG sollte Gebrauch gemacht werden können.

gez. Jörn-Erik Gutheil

Düsseldorf, im April 2006